5.10.10

Sehr faires Spiel ...



... schreibt der souveräne Schiedsrichter Jürgen Mertens in die Rubrik "Besondere Vorkommnisse" des Spielberichtsbogens zum Spiel 21 des Wettbewerbs Ü50 Kreisklasse C Staffel 2 des Fußball Landesverbandes Berlin. Es spielten Fernsehelektronik I gegen Berliner SC II.

Nun, Herr Schiedsrichter, es gab sicher mehr "Besondere Vorkommnisse" in der vergangenen Woche im Umfeld des BSC Ü50 II, aber das können Sie nicht wissen. In mehreren Gesprächen mit den Hauptbeteiligten konnte ich die Fakten rekonstruieren und faszinierende Einblicke in das Leben dieser Fußballer abseits der großen Spiele gewinnen. Danke nochmal an die Mannschaftsleitung!

22.09.2010 20:55, Vereinscasino des BSC

Der Berliner SC Ü50 II hat gerade die dritte Niederlage in Folge kassiert. Stern Britz hat uns fünf Tore eingeschenkt, es herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Der junggebliebene Spielertrainer Arne G. trinkt seinen zweiten Kirschsaft aus und will gehen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürt. "Arne, wir müssen reden" raunt ihm eine vertraute Stimme ins Ohr. Es ist Axel Sch., der Strippenzieher der Mannschaft. "Ist gut, aber nicht hier" murmelt Arne. "23:30, an der Löwenbrücke. Bring was zum Schreiben mit".

22.09.2010 23:35, Löwenbrücke

"Da bist Du ja endlich" ruft Arne. Axel stellt sein Fahrrad ans Brückengeländer. "Ging nicht früher. Ich musste warten, bis alle weg waren". "Egal, pass auf: Wenn wir so weitermachen, werden wir ein Spiel nach dem anderen vergeigen. Es ist schwierig. Ständig wechselnde Besetzungen, keiner hängt sich richtig rein, schuld sind immer die anderen." "Sehe ich auch so. An der Besetzung hat sich gar nicht so viel geändert, aber es ist keine Mannschaft mehr" stimmt Axel zu. "Aber was sollen wir tun? Bloß keine Mannschaftssitzung, bringt überhaupt nichts". "Und Ansprachen vor dem Spiel kann ich mir im Moment auch schenken" seufzt Arne. "Die grinsen sich eins und spielen den gleichen Scheiß. Nein Axel, Du und ich, wir müssen das jetzt in die Hand nehmen." Arne legt seinen Arm um Axels Schulter. "Es geht um Teambuilding. Ich habe eine Idee, aber für uns beide wird es hart". "Ich bin dabei" erwidert Axel, drückt die Hand seines Freundes und ein Plan entsteht.

26.09.2010 17:20, Dircksenstraße 42

Wolfgang S. steht am Fenster seines Büros und blickt auf die S 7, die quietschend in den S-Bahnhof Hackescher Markt einfährt. An der Wandtafel hinter ihm klebt noch das Jubelbild von der Ü50-Website. Aufstieg 2009/2010. Wie gern erzählte er seinen Kollegen von den Fußballerfolgen. Naja, jetzt ja nicht mehr.

Ein dezentes "Dingdong" kündigt eine neue E-Mail an. Betreff "§§§ Nächste Spiele und neuer Bericht §§§". "Was sollen eigentlich die blöden §§§", denkt er missmutig, öffnet den Link und beginnt zu lesen: "Sind wir Schalke?". Wenige Sekunden später sinkt er schweratmend in seinen Bürosessel zurück. "Das meint der nicht so. Nicht Axel ...".

Aber die Worte auf dem 30-Zoll-Samsung-Monitor lassen keinen Zweifel zu: "Ein leichter Fehler in der Verteidigung (...), 1:1. Dann ein mittlerer und ein schwerer Fehler in der Verteidigung (...): 1:3 zur Pause. (...) zum nächsten Spiel Hartmut (...) oder Dicki (...) einzuladen." Voller Sorgen fährt er den Rechner runter. "Das wars dann wohl. Das Ende nach 32 Jahren beim BSC. Kein Platz mehr für mich."

Er faltet das gebrauchte Butterbrotpapier, steckt es in die Radtasche und fasst einen Entschluss: "Einmal noch. Einmal noch streng ich mich richtig an. Gegen Fernsehelektronik gilts. Axel werd ich es zeigen."

29.09.2010 9:05 Königsallee

"Das wird sie beschäftigen", schmunzelt Arne befriedigt, klickt auf den Senden-Button und schließt den Deckel des Notebooks. Ein weiterer Klick auf die Kurzwahltaste seines Smartphones: "Axel, dein Bericht war super. Genau wie geplant. Ich habe gerade meine Antwort-Mail abgeschickt. Bleib jetzt bloß ruhig und lass dich nicht provozieren". "Mensch Arne, mir ist das so peinlich. Was müssen die von mir denken." "Denk nicht drüber nach. Es geht um die Mannschaft", sagt Arne und beendet das Gespräch. Sein Blick schweift über den herbstlichen Dianasee. "Gewinnst Du die Herzen, gewinnst Du die Spiele" sagt er leise, wendet sich ab und dem Spandauer Strumpfimperium zu.

29.09.2010, Nachmittag und früher Abend, Berlin

In den Büros und Lofts der Hauptstadt rasen E-Mails mit Lichtgeschwindigkeit über die Drähte des Internet. Die Replik des Spielertrainers ist Gesprächsthema Nummer 1. "Spinnen die jetzt total?" "Tritt Arne am Freitag zurück?" "Sind wir noch zu retten". Aber auch: "Bin ich nicht auch ein bisschen Abwehr?" "Hat Axel vielleicht sogar recht?"

Hans (Dampf in allen Toren) Sch. sucht Kompromisse, um den drohenden Zerfall der Ü50 II abzuwenden: "Sei doch bitte nicht so streng", ruft er Arne zu. Der in langjähriger Vereinsarbeit gestählte Roland Gr. sendet kraftspendenden Zuspruch von seinem Glienicker Landsitz: "Hans find ich geil!". Und sogar Bernd G. rechnet nach, dass er es bei 54 unter Par rechtzeitig zum Anpfiff schaffen könnte, kurz: Mindestens elf Männer im besten Mannesalter blicken in höchster Konzentration auf den kommenden Freitag, den Tag der Entscheidung.

01.10.2010, 17:30: Bruno-Bürgel-Weg 63, Kabine des BSC

Blauer Himmel über der Spree, bestes Fußballwetter, Rasenplatz. Neun BSCler trotten in die frischrenovierten Umkleideräume der Elektroniker. Die Auseinandersetzungen der letzten Woche haben Spuren in den Gesichtern der Fußballer hinterlassen und vom üblichen fröhlichen Geplapper ist heute nichts zu hören. Niemand spricht aus, was doch alle denken: "Darf ich heute spielen?" "Kriegt Axel einen Pass von Arne?" "Wo kommt Berri eigentlich her?"

In der drückenden Stille hallt die Ansage des Spielertrainers ungewohnt laut: "Im Tor Hans. Im Sturm Hannes. In der Abwehr Roland Bö., Berri, Wolfgang, Axel, Stephan, Andi Hä. und ich. Übermorgen sind wir das Volk. Heute sind wir die Abwehr." Die ganz in schwarz gekleideten Männer blicken in die Augen ihres Gegenübers und sehen ein Gefühl: Hoffnung. "So ist es", sagt Axel und wischt sich mit der linken Hand über die Augen. "Das sind wohl nicht nur die Kontaktlinsen", denkt Andi Hä. und zieht die schwarzen Stutzen hoch. "Kommt jetzt mit mir raus", ruft Arne und acht Männer folgen ihm durch den westlichen Kabinenausgang in Richtung der tiefstehenden Abendsonne. Durch die offenstehende Tür des Platzwarts ertönen Dionne Warwick und Stevie Wonder:

Keep smilin´, keep shinin´
Knowing you can always count on me for sure
That´s what friends are for.


Tja, soweit die Vorgeschichte. Wir haben dann ein bisschen besser gestanden als letzte Woche und keine Konter gekriegt, sondern öfter selber welche vorgetragen. Roland Bö. hat ein gutes Spiel gemacht, Axel war erfolgreich und Berri hat uns Glück gebracht. Arne hat die Elfmeterecke richtig vorausgesagt, Hans hat nicht auf ihn gehört, Hannes hat ein schönes Tor gemacht und ein anderes nicht gemacht, Stephan war ein Opfer des Schiri, Andi Hä. hat am schönsten gegrätscht und Wolfgang durfte diesen Bericht schreiben.

Die Tore:

21. Minute: Eckball von Axel. Stephan köpft, Ball wird abgewehrt, Hannes schießt aus der Drehung. 0:1
38. Minute: Einzelaktion vor unserem Tor: Wuseliger Fernsehelektroniker setzt sich gegen zwei BSCler durch. 1:1
46. Minute: Fernsehelektroniker läuft auf unserer rechten Abwehrseite bis zur Grundlinie, Stephan wehrt ab und schießt Ball gegen Fuß von Gegner, Ball geht über die Grundlinie und Fernsehelektroniker zu Boden. Schiedsrichter pfeift Elfmeter. 2:1
56. Minute: Schneller (ok, relativ) Angriff des BSC, Hannes nimmt in der Mitte an, legt ab nach links, Axel netzt ein. 2:2.

Keine Kommentare: