Wir ließen uns nichts anmerken. Ich ließ mir nicht
anmerken.
Wir eine Schafherde, in deren Weide ein Wolf eingedrungen
war, drückte sich die Mannschaft in die entferntesten Ecken der Kabine.
Sie saß gleich neben der Tür, amüsierte freundlich über
unsere müden und seltsam zahmen Witze (die zivilisatorische Wirkung der Frauen ist
doch gar nicht zu überschätzen) und bewunderte Uwes langen Superman-Unterhosen
(Lidl 2007).
Keiner fragte woher sie kam.
Die rhetorische Raffinesse der prägnanten Ansprache von
Manni litt ein wenig unter dem ständigen Rein und Raus der Mannschaft, einer
kam gar erst gegen Ende (das kostete ihn den Platz in der starting seven),
einer kam gar nicht, was dieselbe Ordnungsstrafe zur Folge hatte. So waren wir
also zu neunt. Und sie.
Auf dem Platz alte Bekannte, auch Berolina hatte sich ein
wenig bei der ersten Mannschaft bedient.
Trotzdem starteten wir - gestärkt durch unsere letzten
Erfolge - konzentriert und selbstbewusst in die Partie, standen kompakt im
Mittelfeld, die Abwehr hatte die starken gegnerischen Stürmer im Griff und ab und
an ließen unsere Gegenangriffe eigene Gefährlichkeit aufblitzen.
Nach einer ziemlich harmlosen ersten Ecke von Berolina dann ein
schmerzhafter Rückfall in alte Zeiten: Fußball.de registriert das 1:0 für
Berolina, Torschütze Ralf Peter Richter.
Man kann es so sehen, man kann auch fragen, warum unser
Verteidiger genau da steht, wo Pete den Ball halbherzig hinschlägt, man kann
sich diese Überlegungen auch gleich ganz schenken, weil sie eh nichts mehr
ändern.
Uwe jedenfalls grummelt am Anstoßkreis Schwaden negativer
Energien auf den Ball nieder, der kann aber nun gar nichts dafür.
Ganz sanft beginnt es zu schneien, 6,7 vielleicht 9
Schneeflocken. Ich glaube neun.
Was jetzt beginnt ist ohne den Engel nicht zu begreifen.
Wie jeder von uns seine volle Leistungsfähigkeit erreicht,
wie viele Dinge gelingen, von denen wir sonst nur träumen, wie wir gegenhalten
und nicht einbrechen: Hat man jemals ein so beherztes Solo von Karsten über Linksaußen
gesehen, abgeschlossen mit einem Außenristpass aus vollem Lauf, den Uwe in der
Mitte mit dem rechten (!) Fuß sicher verwandelt? Wann kombinierten wir uns
das letzte Mal so traumwandlerisch bis in die Spitze, von Manni vollendet, der mit
enorm viel Gefühl eine butterweiche Flanke über den letzten Verteidiger hinweg
auf meinen Kopf segeln lässt?
Und nie sah jemand eine perfektere hyperbolische
Kopfballkurve - die Zeit steht still: 2:1 für uns.
Dass der enorm starke Fünfer von Berolina nach starker Einzelleistung
ausgleicht, schmeißt uns heute nicht um. Noch vor der Pause schlägt unser Erfolgskapitän
Hartmut nach Freistoß-Vorlage von Manni mit Bierruhe, feiner Technik und gut
sitzenden Stutzen zum 3:2 zurück.
Ich weiß noch, dass der Engel sich in der Pause mit uns die
Treppe zur Kabine hinauf drängelt, dann verliere ich ihn aus den Augen. Wir
schwören uns ein auf die 2. Halbzeit, in der Kampf und Konzentration 30 Minuten von uns
durchgehalten werden.
Manni vernichtet dann aus
unmöglichem Winkel …
(jetzt aber Exkurs!:
„…dann fand Emmerich das zerrissene Zündkabel und flickte es mit einem Schuss,
wie ihn das Stadion von Birmingham noch nicht gesehen hatte. Nach einem Einwurf
von Held knallte er aus ganz spitzem Winkel den Ball mit dem linken Fuß in die rechte
obere Ecke des spanischen Tores, so dass der ausgezeichnete spanische Torwart
den Ball nicht einmal kommen sah.“ Wilhelm Fischer Fußball WM 1966, W. Fischer
Verlag, Göttingen 1966)
… mit seinem 4:2 allerletzte Hoffnungen von Berolina - na ja
nicht gerade geknallt und nicht rechts oben und der Torhüter war auch nicht soo
stark - aber sonst so ungefähr - und die letzten „zwei Menuttä-än!“ unseres türkischen
Schiedsrichterfreundes sind dann auch schnell vorüber.
Manni bestellt 10 (!) Siegerbier in die Kabine, aber eins bleibt
übrig.
Die restlichen leeren Pete, Dicki, Karsten Meyer, Ändy
Heling, Olaf, Manni, der Captain, Uwe und
Stephan B.
Was sonst noch geschah: Uwe gibt am Kiosk eine „Bockwurst an
Bioweizentoast“ aus , wir trinken noch mehr Bier und ich hab schon mal das
Spiel der 1. am Freitag freigegeben, die Aufstellung war aber noch gar nicht
bearbeitet und jetzt müssen Esti und Schreibi spielen, die sind aber gar nicht
da und Hans und Bernd dürfen nicht mitmachen, die könnten aber.
Die Mannschaft wird mich schlachten, egal, ich fahr mit
Manni durch die Nacht, schlafen kann ich eh nicht, ich denk an den dunkel
leuchtenden Himmel über Stralau.
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