Die Vorfreude auf die WM 2014 steigt nun von Tag zu Tag,
natürlich gehen wir auch mal auf die Fanmeile oder in den Biergarten. Da kann
aber benehmensmäßig leicht etwas schief gehen. Dankenswerterweise hat der
Tagesspiegel einige Benimmhinweise veröffentlicht.
Eine kleine Public-Viewing-Typologie
VON ELENA SENFT
Es ist wie der erste Urlaub mit dem Partner. Man glaubt,
jemanden zu kennen und für immer zu mögen, und plötzlich fördert der Urlaub
eine charakterliche Seite zutage, die für immer einen Schatten wirft. Den
Schatten der Erinnerung daran, wie der Freund an der mallorquinischen Playa
strahlend und in Dreiviertelhosen die Clubtanz-Polonäse zu "Agadou"
angeführt hat.
Die nächsten Wochen bieten eine Menge Gelegenheiten, sich
charakterlich nachhaltig zu disqualifizieren, Denn Fußball-WM-Zeit ist
Public-Viewing-Zeit. Zeit, in unerwartete Abgründe zu sehen, zum Beispiel in
diese:
- Er kommt zum Deutschlandspiel im Brasilien-Trikot. Denn
die Brasilianer, die er "Ballzauberer" nennt, haben alle früher schon
auf der Straße mit alten Dosen Fußball gespielt, ein wahnsinniges
Rhythmusgefühl und irre Lebensfreude. In Wirklichkeit geht es diesem
Public-Viewing-Teilnehmer um einen aufrührerischen Auftritt in der
konform-plumpen Deutschland-Fan-Masse. Seine kleine Revolution, mit
verschränkten Armen jubelt er effektheischerisch, wenn alle anderen entsetzt
schweigen, und gießt sich mit Lobeshymnen auf den brasilianischen Fußball noch
ein fünftes Bier rein. Wer gewinnt, ist ihm eigentlich völlig egal.
- Sie hat einen beneidenswerten Platz direkt vor der
Leinwand, hat dieser allerdings den Rücken zugedreht, um an Weinschorle nippend
ausgiebig und laut mit ihren Freunden zu plaudern, Schön, dass alle mal wieder
zusammenkommen! Falls sie sich doch umdreht und abfällig auf die Leinwand
guckt, kokettiert sie mit Unwissenheit ("Also ich weiß ja nicht mal, was
Abseits ist...") oder zweifelhafter Mannschaftsloyalität ("Die
Argentinier sehen am besten aus").
- Er kommt eine halbe Stunde zu spät, weil im Büro noch
echt viel los war, und lässt sich auf seinen freigehaltenen Platz im restlos
gefüllten Biergarten fallen. "Hm", sagt er mit Blick auf die
suboptimalen Sichtverhältnisse, Und "bisschen weit weg vom Bierstand
...". Konsequent ignoriert er dabei seinen Kumpel, der seit Stunden quer
über drei Plätze liegend dem Spiel in der Horizontalen folgte und körperlichen
Angriffen und Beleidigungen der übelsten Sorte standhalten musste, während er
eben diesen Platz verteidigte, "Bela Rethy kommentiert? Da hätt' ich ja gleich
zu Hause bleiben können", nuschelt der Undankbare kaum hörbar.
- Er ist von Natur aus körperlich nervös und hoch
gewachsen. Außerdem verfügt er über das Talent, immer einen Platz in einer
vorderen Reihe und direkt vor kleinen Menschen zu ergattern. Seine
Parade-Disziplin: Aufstehen, sobald sich der Ball auch nur einen Zentimeter
weit in der von ihm ersehnten Spielfeldhälfte aufhält, und damit sämtlichen
Menschen die Sicht zu versperren. Seine Alternative: Sich sitzend in die
Richtung zu lehnen, in der er den Ball gern sehen würde.
- Sie liebt Verkleidungen. Was für ein Zufall, dass die
WM in Brasilien stattfindet! Sie nimmt dies zum Anlass, sich wie ein Tourist
beim Karneval der Kulturen zu benehmen. Sie gießt sich einen Caipi nach dem
anderen rein und dreht durch, sobald ein Samba-Rhythmus zu hören ist.
Ehrensache, dass sie die Vuvuzela wieder rausgekramt hat.
- Ansonsten ist sie ein Merchandising-Monster. Sie trägt
einen schwarz-rot-goldenen Hut, hat bei KiK ein Fußball-Trikot erstanden, will
allen Menschen die Deutschland- Flagge ins Gesicht malen und verteilt
Blumenketten in Schwarz-Rot-Gold. Stechend nach Polyester-Schweiß riechend,
reißt sie bei jedem Torschuss die Arme in die Höhe und bedient eine
Konfetti-Kanone.
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