Und dann flog dieser Ball, gefühlvoll auf der linken Seite
geschlagen. Er rotierte in einem leichten Halbkreis, direkt in den Strafraum.
Dort schnellte Antoine Griezman vom Boden, kraftvoll, mit dem Blick zum Ball. Mit
einer ruckartigen Drehung des Kopfs lenkte er den Ball im 180-Grad-Winkel zum
Tor, wo sich Manuel Neuer streckte und streckte und streckte. Aber nachdem er
wieder gelandet war, konnte er nur noch den Ball aus dem Netz holen. So war das
vor ein paar Tagen in Paris.
Und 60.000 im Stade de France jubelten. In Paris hatte der
kleine Angreifer, 1,75 Meter groß, für Weltmeister Frankreich den 1:1-Ausgleich
erzielt. Ein Traumtor, die Fans rasteten aus. Aber natürlich hatten sie keine
Ahnung von der Geschichte dieses Kopfballs.
Antoine Griezman hatte diesen Kopfball von Ebi gelernt.
Ebi ist 50 Jahre älter als Griezman, er hatte solche
Kopfbälle schon inszeniert, da lag der Franzose noch in den Windeln.
Eine andere Weltkulisse, ein anderer Tag. Freitag, das
Käthe-Tucholla-Stadion von Köpenick-Oberspree, Bruno-Bürgel-Weg, mehrere
grauhaarige Männer als Kulisse. Spiel BSC Ü60-2 gegen Köpenick-Oberspree, 22.
Minute. Eine gefühlvolle Flanke von rechts, in der Mitte steht Ebi,
mutterseelenallein, der Ball fliegt, er kommt zu Ebi, der reißt ruckartig den
Kopf Richtung Tor, der Ball fliegt und fliegt, er fliegt direkt zum Netz,
Sekundenbruchteile, dann muss er die Torlinie überschritten haben. Aber mit
einem panther-ähnlichen Satz wehrt der Torhüter von Köpenick-Oberspree den Ball
noch zur Seite. Hätte er gegen Frankreich im Tor gestanden, dann, ja dann…..
Ebis Traum-Kopfball war eine der besten Szenen dieses
Spiels. Die zweite kam Sekunden vor Schluss. Ein Verteidiger der Gastgeber
spielt unbedrängt am eigenen Strafraum einen Querpass, für den er
wahrscheinlich für die nächsten Monate ins Amt des Greenkeepers versetzt wird.
Stephan B., noch so eine Art Panther, reagierte blitzschnell, nahm den Ball auf
und schoss ihn überlegt ins rechte untere Eck. Die Entscheidung. Das 3:2 für
den Berliner SC. Die Mannschaft hatte in letzter Sekunde noch triumphiert.
Lange einem Rückstand hinterher gelaufen. Ausgeglichen. Dann, wie bei Asterix,
zack Haudraufundschluss.
Ebi, immer wieder Ebi. Der Mann, der an allen Situationen
beteiligt war. Na ja, an wesentlichen. Kippte in der ersten Halbzeit, nach ein
paar Minuten schon, auf den Boden wie eine Fichte beim Sturm „Kyrill“. Gefällt
(oder zumindest touchiert) von einem Gegenspieler, zwei Meter neben dem linken
Torpfosten des Tors von Oberspree. Elfmeter, Stephan schießt, der Keeper hat
noch die Fingerspitzen in Ballnähe, Tor.
Oberspree, der Tabellenführer, und Favorit, hatte gerade das
dritte Gegentor - in der gesamten Saison 18/19 erhalten. Doch der Berliner SC
spielte ganz gut, hatte einige schöne Kombinationen, allerdings auch diverse
Fehlpässe, mit denen er den Gegner aufbaute. Trotzdem: Spielbestimmend waren
die Gäste. Aber es kam wie es kommen musste: ein Fehlpass, Konter, Tor. Peter
S. als Keeper hatte keine Chance.
Zweite Halbzeit. Nun bestimmte der BSC enorm das Spiel. Es
waren die Minuten von Andi Hä. Er lief sich frei, tänzelte sich durch, er
schoss raffiniert, er erkämpfte sich den Ball. Einmal sorgte Klaus für die Vorarbeit,
mustergültig mit einem Pass. Und Andi hatte eine absolute Erfolgsquote, nicht
zu übertreffen, 100 Prozent. Er schoss jedes Mal neben‘s Tor.
Im Gegenzug rettete Peter im Tor bei den wenigen Chancen der
Gastgeber ausgezeichnet. Er rettete oft, aber nicht immer. Das 2:1, Peter hatte
keine Chance. Der BSC marschierte weiter, hatte Feldüberlegenheit und
Torchancen und Ebi. Der Ball flog in den Strafraum, vor dem Tor stauten sich
die Spieler als würde dort Freibier ausgeschenkt, Ebi bekam den Ball an den
Kopf, diesmal zuckte sein Kopf anders als vorher, irgendjemand schrie „Tor“,
der Ball lag im Netz. Ausgleich. 2:2, Torschütze: Ebi. Wenn Griezman im
nächsten Spiel ein ähnliches Tor köpft, ist klar, dass er vorher auf YouTube
„Ebi, Kopfballtechnik, Oberspree“ eingetippt hat.
Noch sieben Minuten. Sechs Minuten und 50 Sekunden tat sich
nichts, dann lauerte Stephan an der Strafraumgrenze. Er musste es geahnt haben.
Denn der Typ, der ihm die Vorlage gab, der hatte den gleichen Aussetzer schon
vor Wochen. Damals allerdings bekam er noch eine Art Bewährung: Vier Tage
Toiletten putzen in den Umkleidekabinen.
Frank Ba.
Die Mannschaft:
Peter S. (Tor), Dicki, Hartmut, Klaus Sch., Micha R., Andi Hä., Stephan B., Ebi
& Schiedsrichter Frank Ba.
*1
Käthe Tucholla (* 10. Januar 1910 in Berlin; † erhängt 28. September 1943
Berlin-Plötzensee); Als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen,
beteiligten sich Käthe und ihr Ehemann Felix Tucholla mit der
antifaschistischen Widerstandsgruppe um Robert Uhrig durch Verbreitung
illegaler Literatur und der Beschaffung von Quartieren für verfolgte
Antifaschisten am Widerstand. Käthe Tucholla war auch als Kurierfahrerin in
andere deutsche Städte unterwegs. Zudem unterstützten beide den sowjetischen
Agenten Erwin Panndorf, der im Mai 1942 über Ostpreußen mit dem Fallschirm
abgesprungen war, was letzten Endes zu ihrer Verhaftung durch die GeStaPo führte. In
ihrer Freizeit spielte sie Hockey im Verein Sparta Lichtenberg.
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